Hier werden in loser Reihenfolge Dilemmas und mögliche Lösungen vorgestellt, über die ich gestolpert bin.

14.9. 2021 Das Heckendilemma

Viele Gartenbesitzer kennen das Problem, dass ihre Wünsche in der Gartengestaltung mit den Vorgaben der jeweiligen Kommune kollidieren. Gerade was die Höhe des Zauns oder der Hecke am Grundstückrand angeht, gibt es immer wieder Probleme.

Ein Gärtner erzählte mir von dem Dilemma eines Kunden – und seiner kreativen Auflösung des Dilemmas. Der Kunde ist vermögend und hat ein weitläufiges Grundstück. Vermögende Leute scheinen ein erhöhtes Bedürfnis nach Privatsspähre zu haben. Jedenfalls wollte dieser Kunde sein Anwesen mit einer vier Meter hohen Hecke umgeben. Da spielte aber die Kommune nicht mit. Die lokale Verordnung liess lediglich 1,90m als maximale Heckenhöhe zu.

Bild: Augusto Lopes auf Unsplash

Der Kunde sah sich im Dilemma zwischen den eigenen Wünschen und den Vorgaben der Gemeinde. Doch dieser Kunde löste das Dilemma elegant. Am Rand seiner Grundstücks ließ er eine 1,90 m hohe Hecke pflanzen und erfüllte damit die Auflagen der Kommune. Zwei Meter hinter dieser Hecke ließ er eine zweite Hecke pflanzen – in vier Meter Höhe. Da es sich bei dieser Hecke nicht mehr um die Begrenzung des Grundstückes handelte, griff die Beschränkung der Höhe nicht mehr.

Zugegeben, diese Lösung wird  nicht für alle Gartenbesitzer in Frage kommen. Der Kunde ist mit der Lösung aber zufrieden; er hat nun die Privatssphäre, die er wollte. Genauso wie der Gärtner, der jetzt sehr viel Hecke hat, die er jedes Jahr schneiden soll.

16.8.2021 Chinas Dilemma mit der Modernisierung der Wirtschaft in den 1980er Jahren

Bild Brendan O’Donnell on Unsplash

In seinem brillanten Buch ‚Making China Modern‚ beschreibt der Sinologe Klaus Mühlhahn ein Dilemma der kommunistischen Partei in China in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es war – ähnlich wie in der Sovjetunion – klar geworden, dass das System der Planwirtschaft gescheitert war. Die Staatsbetriebe waren zu ineffizient und zu wenig innovativ, um den Lebenstandard der Bevölkerung sichern, geschweige denn steigern zu können. Um halbwegs mit dem Westen mithalten zu können, war die Einführung von marktwirtschaftlichen Elementen notwendig. Ein Beibehalten des Status quo war nicht akzeptabel.

Die Frage war, wie dieser Übergang von Planwirtschaft zur Marktwirtschaft gelingen konnte. Die chinesische Führung hatte Angst vor einer radikalen Privatisierung, wie sie dann einige Jahre später in der Sovjetunion durchgeführte wurde. Die Angst war berechtigt. Die wirtschaftlichen Verwerfungen dieser Privatisierung – und der Diebstahl großer Teile der russischen Wirtschaft durch gut vernetzte Personen – führten mit zum Machtverlust der Kommunisten in der Sovjetunion und deren Auflösung.

Die Antwort der chinesischen Führung war ein intelligentes Sowohl-als-auch. Statt die Betriebe von einem Tag auf den anderen zu privatisieren, führte die chinesische Regierung in den frühen 1980er Jahren ein duales System der Produktion ein. Firmen mussten wie bisher in der Planwirtschaft bestimmte Quoten an Produkten herstellen und zu festgelegten niedrigen Preisen an den Staat verkaufen. Alles was die Firmen darüber hinaus produzierten, konnten sie zu Marktpreisen verkaufen (Mühlhahn 2019, S. 511). So stellte der Staat sicher, das eine bestimmte Menge an notwendigen Produkten hergestellt wurden. Gleichzeitig erhielten die Firmen aber auch konkrete Anreize, mehr zu produzieren und vor allem auch Dinge zu produzieren, die am Markt nachgefragt waren. 

Auf diese Art und Weise konnte ein gradueller Einstieg in der Marktwirtschaft in China stattfinden. Wie bei den meisten Dilemmas war diese Lösung nicht perfekt. Mühlhahn beschreibt die verschiedenen Spannungen, die diese duale Preisstruktur hervorbrachte. Wenn auch nicht perfekt, so war dieser Ansatz deutlich besser als die Alternative der kompletten Privatisierung, die westlliche Ökonomen propagiert und auch von der russischen Regierung umgesetzt wurde.

15.3.2021 Das Dilemma der Republikaner nach Trumps Präsidentschaft

Bild: Joshua Sukoff auf www.unsplash.com

Republikanische Abgeordnete im amerikanischen Senat oder Repräsentantenhaus stehen von einem handfesten Dilemma. Nach dem Sturm seiner Getreuen auf das Kapitol ist Trump – und Leute, die ihn unterstützen – für die Mehrheit der Amerikaner unwählbar geworden. Gleichzeitig steht ein großer Teil der republikanischen Parteibasis hinter Trump. Um als republikanischer Kandidat nominiert zu werden, brauchen die Kandidaten die Unterstützung durch Trump. Dadurch erlangen sie zwar die Nominierung, machen sich aber als Unterstützer von Trump für die Mehrheit der amerikanischen Wähler unwählbar.  Der Nominierung folgt dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Wahlniederlage. Stellen sich die Kandidaten im innerparteilichen Wahlkampf schon gegen Trump, verlieren sie dort.

Ein echtes Dilemma. Die Lösung? Kanditaten, die erst nächstes oder übernächstes Jahr in den Wahlkampf ziehen müssen, können es mit Aussitzen versuchen. Sie können hoffen, dass bis dahin der Einfluss von Donald Trump auf die Basis abgenommen hat. Aber für diejenigen Kandidaten, die bald in eine Abstimmung müssen, haben es mit einem echten Dilemma zu tun, das scheinbar keine akzeptable Lösung hat. Diejenigen, die eine Idee hätten, sind bestimmt als Wahlkampfberater in den USA sehr gerne gesehen.

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16.12.2020 Die militärische Präsenz des Westen im Nahen Osten

Seit mehreren Jahrzehnten sind westliche Armeen im Irak und in Afghanistan aktiv. Donald Trump hat den Abzug amerikanischer Streitkräfte aus Afghanistan angekündigt. Auch die Bundeswehr ist gerade dabei, sich aus Nordafghanistan zurückzuziehen. Laut Markus Kaim und seinen Kollegen von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ergibt sich daraus aber ein handfestes Dilemma.
Der – geradezu überstürzte – Abzug der Amerikaner destabilisiert die eh schon schwierige Sicherheitslage am Hindukusch. Wenn sich der Westen zurückzieht, drohen die zaghaften Erfolge beim Aufbau halbwegs stabiler Strukturen in Afghanistan zu Nichte zu werden. Ein Verbleib amerikanischer – und auch anderer Nato- Truppen wird aber immer schwieriger, den eigenen Wählern zu verkaufen. Zu lange dauern die Einsätze dort schon, zu wenig ist vorzuweisen. Egal wie sich Washington oder Berlin entscheiden, es bleibt eine unbefriedigende Situation.

Schon in der Vergangenheit war es immer schwieriger für die Amerikaner, genug Personal für die verschiedenen Einsätze im mittleren Osten zu finden. Daher griff die amerikanische Regierung verstärkt auf ‚Defense Contractors‘ sprich Söldner zurück, um militärisch vor Ort präsent zu sein.
Vom Einsatz von Söldner in der Region hält der amerikanische Professor Sean McFate wenig. Da er selbst erst amerikanischer Soldat, dann Söldner war, kennt er nur zu gut die Interessenlage der privaten Armeen. Deren Interesse ist es eher, Konflikte fortzusetzen und ggf. zu eskalieren. Schließlich lässt sich so gut Geld verdienen.

Als Alternative schlägt McFate in seinem Buch ‚The New Rules of War‘ den Einsatz von Fremdenlegionären vor. Deren Einsatz im Mittleren Osten wäre innenpolitisch besser vertretbar – nach der etwas zynischen Logik, dass die Wähler über den Tod von Ausländern weniger erzürnt sein dürften als den Tod ihrer eigenen Landsleute. Gleichzeitig ließen sich die Fremdlegionäre besser steuern und hätten weniger konkliktäre Eigeninteressen als der Einsatz von Söldner. Die Argumentation ist zynisch – aber was ist das im Krieg nicht.

3.11.2020 Yandex’s Corporate Governance Dilemma

Foto: Egor Myznik auf www.unsplash.com

Yandex ist Russlands größter und erfolgreichster Internet-Konzern. Nicht nur dominiert die Suchmaschine des Unternehmens das russische Internet, sondern Yandex betreibt unter anderem auch einen Lieferdienst,  ein Pendant zu Uber und Lyft sowie einen Internet-Zahlungsdienst.

Seit vielen Jahren ist das Unternehmen an der Nasdaq in den US gelistet, macht aber sein Hauptgeschäft in Russland. Und wie wie Evan Gershkovich in der August-Ausgabe des MIT Technology Review schreibt, führte diese Konstellation zu einem handfesten Dilemma. Seit Jahren ist der Kreml dabei, seinen Einfluss auf die russische Wirtschaft auszubauen. Direkt oder indirekt bringt der Kreml strategische Unternehmen und Branchen unter seine Kontrolle. Im Falle von Yandex sorgt sich die russische Regierung vor allem um die Kontrolle des Internets in Russland. Um diese Kontrolle sicher zu stellen, gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Bemühungen, die Kontrolle über Yandex auszubauen. So erhielt 2009 die staatliche Sberbank eine goldene Aktie, die ihr umfangreiche Vetorechte einräumte. 

Doch je stärker der Einfluss des russischen Staates, desto unattraktiver wird die Yandex-Aktie für die internationalen Investoren. Wenn das Yandex-Management dem Drängen der russischen Regierung nachgibt, fällt der Wert der Aktie und die Eigentümer verlieren viel Geld. Gibt das Management aber den Forderungen des Kremls nicht nach, läuft das Unternehmen Gefahr, von der russischen Regierung verstaatlicht oder sonst wie aus dem Markt gedrängt zu werden. Diese Option wäre für die Aktionäre mindestens so unattraktiv wie die andere Option.

Zum akuten Dilemma eskalierte die Situation, als sich 2018 abzeichnete, dass die Sberbank seinen Anteil am Unternehmen massiv ausweiten wollte und der Aktienkurs nach Bekanntwerden dieser Pläne abstürzte. Um aus dem Dilemma herauszukommen, brauchte Yandex eine Lösung, die einerseits dem Unternehmen weitgehende Unabhängigkeit vom Staat sicherte, gleichzeitig aber auch dem Staat genug Einfluss gab, um seine Sicherheitsinteressen zu wahren.

Die Lösung, die Yandex fand, ist ein recht kreativer Kompromiss: Die goldene Aktie wurde von der Staatsbank Sberbank an eine regierungsnahe Stiftung übertragen. Diese Stiftung ist teilweise von Yandex-Managern, zum größeren Teil aber von Regierungs- und Wirtschaftsvertretern besetzt. Diese Stiftung kann über die goldene Aktie Entscheidungen über den Verkauf von geistigen Eigentum des Unternehmens oder auch Kooperationen mit ausländischen Regierungen untersagen. So hat die Regierung über diese Stiftung einen weitreichenden Einfluss in das Unternehmen, ohne dass die Eigentümerstruktur von Yandex direkt angetastet wird. Wie jeder Kompromiss ist diese Lösung nicht perfekt und stellt nicht alle Beteiligten vollständig zufrieden. Doch die Lösung erlaubt dem Yandex-Management den Spagat zwischen den widerstrebenden Anforderungen – zumindest vorübergehend.

15.9.2020 „If you can’t beat them, eat them“ – Probleme einfach mal aufessen.

Die Süddeutschen Zeitung machte mich am Wochenende auf einen wirklich kreativen Umgang mit Problemen aufmerksam. Aus den verschiedensten Gründen haben sich bei uns die verschiedensten exotischen Tierarten eingenistet. Bei einigen von ihnen ist ihre Verbreitung unkritisch. Andere hingegen, so wie beim roten amerikanischen Sumpfkrebs, wird deren Verbreitung nicht unbedingt zum Dilemma, aber definitiv zum Problem. Da diesen invasiven Arten die natürlichen Feinde fehlen, verbreiten sie sich rapide und verdrängen die einheimischen Arten. Der Sumpfkrebs ist gerade in Berlin zu einer massiven Plage geworden. Was tun?

Foto: Stone Wang on Unsplash.com

Eine spannende Antwort – und ein mustergültiges Reframing eines Problems –  liefert das Berliner Start-up Holycrab (https://holycrab.berlin/). Das Team dort stellte sich die Frage, wie etwas, das als Plage im Überfluss vorhanden ist, genutzt werden kann. Im Falle des Sumpfkrebses ist die Antwort von Holycrab: „If you can’t beat them, eat them! Holycrab verkauft verschiedene Gerichte mit invasiven Tieren und Pflanzen als Street Food: Egal ob als ‚Berlin Crab Roll‘ oder als ‚Crabs ’n‘ Cripples‘ oder ‚Celina Invasiva‘. Die Plage wird als nicht nur als etwas Negatives betrachtet. Stattdessen erfolgt ein Perspektivenwechsel, ein Reframing: wenn wir diese Tiere nun hier haben, wie können wir sie nutzen und durch die Nutzung die Ausbreitung in Zaum halten.

So lecker wie im Falle von Holycrab! werden sich nicht alle Probleme lösen lassen – keine Frage. Aber dazu anzuregen, Probleme mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, können Sumpfkrebs und Co. auf jeden Fall.

Foto: Christian Erfurt on Unsplash

31.8.2020 „Paradox Mindset“ – Dilemmas als Kreativitätsquelle sehen.

Die meisten Leute betrachten Dilemmas als ein notwendiges Übel, einen meist unvermeidbaren Störfaktor im Berufsleben. Diese Leute versuchen, die Dilemmas, mit denen sie konfrontiert werden, so gut wie möglich in den Griff zu kriegen, das Übel so gering wie möglich zu halten.

Man kann aus der Not aber auch eine Tugend machen. Schließlich zwingen Dilemmas uns immer wieder dazu, Dinge mit neuen Augen zu sehen, den Status quo in Frage zu stellen. Frei nach dem Motto: Not macht erfinderisch – Dilemmas auch. Wenn Leute solch eine proaktive Einstellung zu Dilemmas haben, dann sollten sie im Berufsalltag – gerade in Berufsfeldern, in denen Kreativität gefragt ist – erfolgreicher handeln als Personen, die Dilemmas und widersprüchlichen Anforderungen eher passiv und negativ gegenüberstehen.

Ob dem so ist, untersuchte eine internationale Forschergruppe um Ella Miron-Spektor von INDSEAD vor einigen Jahren (Miron-Spektor et al. (2017) Microfoundations of Organizational Paradox: The Problem Is How We Think About The Problem. Academy of Management Journal 61(1)). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Mitarbeiter, die über ein Paradox Mindset verfügten, sprich Dilemma als inspirierend und herausfordernd erlebten, innovativer waren und im Job bessere Leistungen zeigten, als Mitarbeitende ohne einen ausgeprägten Paradox Mindset.

Normalerweise bleiben wissenschaftliche Ergebnisse in irgendwelchen Journals verborgen, wo sie Praktiker kaum finden. Erfreulicherweise hat die Forschergruppe die Ergebnisse auf einer Webseite leicht verständlich zusammen mit anderen Ergebnissen zum Umgang mit Paradoxa veröffentlicht: http://www.leveragingtensions.com.

Wenn Sie selbst überprüfen wollen, ob Sie einen Paradox Mindset haben, können Sie das auf der Seite http://paradox.lerner.udel.edu/index.php tun. Den Test gibt es zwar nur auf Englisch, aber geht schnell und ist recht informativ.

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18.5.20 Die Lockerung des Corona-Lockdowns – eine geradezu mustergültige ‚Sowohl-als-auch‘ Antwort auf ein Dilemma

Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat viele Dilemmas hervorgerufen. Nach mehreren Wochen des Lockdowns wurde der Handlungsdruck immer größer: Konnte es sich Deutschland wirtschaftlich weiter leisten, den Lockdown aufrecht zu erhalten? Wenn Geschäfte und Gastronomie weiter geschlossen blieben, würden sich immer mehr Unternehmen von der Schließung nicht wieder erholen können. Gleichzeitig aber auch der Gegenpol, ob es sich Deutschland leisten konnte, den Lockdown aufzuheben. Würde eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen zu verstärkten Neuinfektionen an Covid-19 führen, das Gesundheitssystem irgendwann überlasten und damit die Todesfälle in die Höhe schnellen lassen?

Beide Optionen sind gleichermaßen negativ und konkret. Der Druck auch so hoch, dass die Politik die Entscheidung nicht auf die lange Bank schieben konnte. Damit war die Frage nach der Lockerung des Lockdowns eine Entscheidung, die geradezu mustergültig die Bedingungen eines Dilemmas erfüllte.

Neuinfektionen der letzten 7 Tage nach Landkreisen – Quelle: Robert Koch Institut – Zugriff 18.5.2020

Die Antwort der Regierung war ebenfalls geradezu mustergültig. Wie die tägliche Darstellung des Robert Koch Instituts zeigt, ist die Verbreitung des Virus in der Republik sehr unterschiedlich. Dementsprechend ist eine an die lokale Situation angepasste Reaktion sinnvoll. In den Landkreisen mit geringen Neuinfektionen geschieht die Lockerung früher, in den noch stärker betroffenen Landkreisen bleibt es bei den Beschränkungen. Darüber hinaus ist ein Schwellenwert mit 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten 7 Tagen definiert, der darüber entscheidet, ob Lockerungen bei einem starken Neuanstieg der Infektionen wieder rückgängig gemacht werden, um das Gesundheitssystem zu schonen.

Statt einer Entscheidung für den einen oder anderen Gegenpol wird sowohl der Forderung der Wirtschaft als auch den Bedürfnissen des Gesundheitssystems Rechnung getragen. Eine Lösung, die vorbildlich für andere Dilemmas sein kann.

15. 4. 2020 Hat Haier mit seinem Plattformmodell das Dilemma von Zentralisierung und Dezentralisierung von Organisationen gelöst?

Großunternehmen stehen ja immer wieder vor dem Dilemma, auf der einen Seite Skaleneffekte durch hohe Standardisierung erzielen zu können, gleichzeitig aber nicht zu unflexibel und auch zu langsam zu werden. Dies sind die unvermeidbaren Begleiterscheinungen von großen Organisationen, die ihre Bürokratie zur Abstimmung und Koordination benötigen.

Aber sind diese Folgen wirklich unvermeidlich? Der chinesische Hersteller von Haushaltsgeräten Haier befindet sich seit 2010 in einer spannenden Transformation, bei der versucht wird, durch eine massive Dezentralisierung von Entscheidungen in kleinen Einheiten die Geschwindigkeit von Produktentwicklungen massiv zu erhöhen und gleichzeitig die Vorteile in der Produktion und im Vertrieb einer Großorganisation von ca. 90.000 Mitarbeitern zu kombinieren. Der Erfolg scheint dem Unternehmen recht zu geben. Es wächst seit Jahren überdurchschnittlich und ist innerhalb weniger Jahre zu einem der Top-Player in der Branche geworden.

Haiers eigene Darstellung der Organisationsform. (Quelle: http://www.haier.net/en/about_haier/one_person_alone/)– Zugriff 15.4.2020

Wie hat es Haier scheinbar geschafft, das Dilemma von Zentralisierung und Dezentralisierung aufzulösen? Hamel und Zanini führen in ihrem Harvard Business Review Artikel aus dem Jahr 2018 vor allem drei Erfolgsfaktoren für die neue Organisationsstruktur an.

  1. Das Unternehmen hatt sich in ca. 4000 Mikrofirmen aufgeteilt, die in den meisten Fällen nur 10 – 15 Mitarbeitende haben. Davon ist nur ein kleiner Teil mit dem Kontakt der Organisation nach außen zuständig, während der größte Teil der Mikrofirmen intern Dienstleistungen wie IT, Produktion oder auch HRM erbringt.
    Diese Mikrofirmen werden alle als Profit-Center geführt. Gerade die Mikrofirmen, die intern Dienstleistungen erbringen, stehen im ständigen Wettbewerb mit anderen internen Mikrofirmen und auch externen Anbietern, um ihre Denstleistungen an den anderen Mikro und konkurrieren um die internen Aufträge. Mit einigen Regeln zu den Verrerechnungspreisen werden die Transaktionskosten in der Organisation reduziert, ansonsten herrscht massiver Wettbewerb zwichen den Mikrofirmen. Ständig werden die (internen)  Anbieter gewechselt, leistungsschwächere Einheiten lösen sich auf oder werden von anderen Einheiten übernommen. Die Behäbigkeit und Selbstzentriertheit, die man in vielen Bürokratien von Großunternehmen findet, wird man hier vergebens suchen.
  2. Sehr ambitionierte Ziele für einzelne Mikrofirmen und damit auch die einzelnen Mitarbeitenden. Die Latte für die Ziele wird sehr hoch gelegt, die Werte der Konkurrenz bei Wachstum und Profitabilität sollen deutlich übertroffen werden. Die stark variable Vergütung honoriert die Erreichung der ambitionierten Ziele.
  3. Die Öffnung der Organisation für Inputs von außen. Das Unternehmen nutzt nicht nur intensiv mögliche Kunden und externe Dienstleiter für die Entwicklung von Produkten. Personen, die sich als externe Ideengeber hervorgetan haben, können zu Mitarbeitern werden. Die Möglichkeit jeder Mikrofirma, Dienstleistungen von außen einzukaufen erhöht die Flexibiltät der Einheiten, immer und überall die passendsste Lösung einzukaufen. Gleichzeitig erhöht diese Offenheit aber auch den Leistungsdruck für die anderen internen Mikrofirmen.

Wie oft für amerikanische Management-Literatur gibt es in der Darstellung von Hamel und Zanini nur Vorteile. Probleme und Nachteile werden nicht erwähnt. Aus Sicht des Managements scheint es aber gelungen zu sein, die Transaktionskosten innerhalb der Organisation als auch mit Externen massiv zu senken.

Mit diesem Plattformmodell ist es dem Unternehmen gelungen, den Druck auf die einzelnen Mitarbeitenden massiv zu erhöhen. Obwohl die Mitarbeitenden Angehörige einer Großorganisation sind, müssen sie letztendlich wie Selbstständige denken und handeln. Ob diese Situation aus Sicht der einzelnen Mitarbeitenden genauso erstrebenswert ist, steht natürlich auf einem anderem Blatt. Diese sehr darwinistische Organisation dürfte vor allem für sehr leistungsorientierte und risikofreudige Personen sein. Die Arbeitsplatzsicherheit ist gering, die Chanche auf Erfolg und Aufstieg aber umso höher.

Ich bin gespannt, wie sich das Modell in den nächsten Jahren weiter entwickelt und in welchem Umfang das Modell Nachahmer findet. Ein spannender Ansatz, das Dilemma von Zentralisierung und Dezentralisierung, Standardisierung und Individualisierung zu überbrücken, ist es auf jeden Fall. 

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25.3.2020 Das Dilemma ‚grüner‘ Immobilienprojekte

Die Klimadiskussion erreicht auch die Immobilienwirtschaft. Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 21.3.2020, dass viele Kunden möglichst emissionsneutrale oder recycelbare Gebäude erwarten. So wird in Tokyo momentan das W350, ein 350m hohes Hochhaus aus Holz, geplant. Doch sind viele dieser Kunden aber nicht bereit, den Mehrpreis, den grüne Gebäude mit sich bringen, zu bezahlen. Da sieht man deutliche Parallelen zur Debatte um E-Autos.

Wie sollen Immobilienentwickler mit dem Dilemma zwischen Kundenwunsch auf der einen Seite und zurückhaltender Zahlungsbereitschaft umgehen? Die Süddeutsche berichtete in ihrem Artikel, dass immer mehr Immobilienunternehmen das Dilemma so auflösen, in dem sie die Kriterien erweitern, nach denen sie die Entscheidung bewerten. Es stimmt, ‚grüne‘ Gebäude sind im Bau teurer als konventionelle Gebäude. Doch die Unterhaltskosten sind auf Grund der geringeren Energiekosten geringer. So lassen sich Teile der Mehrkosten über die geringeren Nebenkosten kompensieren.

Als zweites Kriterium kommt noch die Wertentwicklung hinzu. ‚Grünen‘ Gebäuden wird eine bessere Wertentwicklung zugetraut, als konventionellen Gebäuden. Hier gibt es große Unterschiede zu den E-Autos, wo einer der teuersten Komponenten, die Batterie ist. Sie ist ein Verschleißteil und dementsprechend beim Wiederverkauf ein Grund für den stark sinkenden Wiederverkaufswert. Auch wegen der der langfristigeren Nebenkosten oder dem geringeren Sanierungsbedarf in den kommenden Jahren dürfte sich der Wert der ‚grünen‘ Immobilien zukünftig besser entwickeln als die der konventionellen Immobilien. Durch die Berücksichtigung dieser zusätzlichen Kriterien wird die bisherige Gleichwertigkeit der Optionen aufgehoben und immer mehr Immobilienfirmen entscheiden sich für umweltfreundlichere Bauprojekte.

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21.01.2020 Fechttrainer – welchen Schützling soll man coachen?

Fechttrainer, wie viele andere Trainer auch, stehen auf Wettkämpfen immer wieder vor einem Dilemma. Im Laufe eines Turnier kommt es – gerade in K.O.-Ausscheidungen immer wieder einmal vor, dass sich zwei der eigenen Schützlinge auf der Bahn gegenüberstehen. Soll der Trainer dann den einen Fechter beraten oder den anderen? Egal wie sich der Trainer entscheiden würde, der andere Fechter wäre zu Recht sauer, dass er benachteiligt wird.

Fechttrainer haben für dieses Dilemma eine einfach Lösung gefunden. Wenn sich zwei der eigenen Schützlinge gegenüberstehen, geht der Trainer aus der Halle. Statt sich mit einem ‚entweder-oder‘ abzumühen, entscheiden sich die Trainer für ein ‚weder-noch‘. So werden beide Schützlinge gleich behandelt.

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13.12.2019 Das Dilemma mit den Hohenzollern

Der Spiegel berichtet in seiner Ausgabe vom 7.12.2019, dass sich die Bundesregierung gerade mehr oder weniger elegant ein Dilemma vom Hals geschafft hat. Seit Jahren – so berichtet der Spiegel – gibt es Verhandlungen zwischen den Nachkommen der ehemaligen deutschen Kaiser und der Bundesregierung. Die Hohenzoller fordern umfangreiche Entschädigungen für nach dem zweiten Weltkrieg enteignete Kunstschätze und Schlösser.

Da es um Werte im dreistelligen Millionenbereich geht, ist der Einsatz hoch. Versucht die Regierung, eine Verhandlungslösung zu finden, dürfte sie mit großen Unmut seitens der Wähler rechnen. „Millionengeschenke“ an den Hochadel kommt gerade bei der linken Wählerschaft nicht gut an. Lässt sich die Regierung auf einen Gerichtsstreit ein, ist die Gefahr des Scheiterns – und damit die Zahlung von massiven Entschädigungen – recht hoch. Egal, was die Bundesregierung macht, sie läuft Gefahr zu verlieren. Die Bundesregierung hat sich dieses Jahr elegant aus der Affäre gezogen. Sie hat das Dilemma an das Land Potsdam delegiert. Nun hat das dortige Finanzministerium den schwarzen Peter.

Die Finanzministerin Lange, die nun das Dilemma geerbt hat, greift nach einer anderen bekannten Strategie, mit dem Dilemma umzugehen. Der Spiegel zitiert die Ministerin,  sie wolle die Situation  „gründlich, unvoreingenommen und von allen Seiten prüfen.“ Sie versucht das Dilemma erst einmal auszusitzen.

29.11.2019 Dynamic Facilitation – Moderationstool bei schwierigen Situation und wicked problems

Auf der Suche nach Lieblingsdilemmas machte mich ein Gesprächspartner auf die Moderationstechnik Dynamic Facilitation aufmerksam. Das Tool hatte sich bei ihm bewährt, um in festgefahrenen und vor allem auch emotional aufgeladenen Besprechungen und Konfliktsituationen zu deeskalieren und die Weiterarbeit auf einer sachlichen Ebene zu ermöglichen. Eine gute kurze Beschreibung gibt es hier, ansonsten sei auch das Buch Dynamic Facilitation – Die erfolgreiche Moderationsmethode für schwierige und verfahrene Situationen von Matthias zur Bonsen und Rosa Zubizarreta, 2014 im Belz Verlag erschienen, empfohlen.

13.11. 2019 Die Helix-Organisation – eine Antwort auf das Dilemma von Dezentralisierung und Zentralisierung?

Bild: Jef Poskanzer – Creative Commons Attribution 2.0 Generic Lizenz

Je größer eine Organisation, desto größer sind die dort herrschenden Zentrifugalkräfte: je nach Funktion, Geschäftsfeld oder auch geografischen Märkten werden unterschiedliche Anforderungen an das Business gestellt, sind unterschiedliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Gleichzeitig muss die Firma aus Effizienzgründen auf eine möglichst hohe Standardisierung von Aufgaben und Prozessen drängen. In vielen Firmen ist die Antwort auf dieses Spannungsverhältnis von Dezentralisierung und Zentralisierung eine Matrix-Organisation. Funktional sind dann Mitarbeitende unter einer Führungskraft aufgehangen, im Sinne einer ‚dotted-line’ sind sie aber auch noch bspw. einer anderen regionalen Organisationseinheit zugeordnet. So finden Mitarbeitenden im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen des direkten Vorgesetzten und des ‚dotted-line’-Vorgesetzten. Eventuell kommt zu der einen ‚dotted-line’-Zuordnung gar noch eine weitere hinzu. Die Struktur der Matrix-Organisation wird von den meisten Beteiligten als unbefriedigend empfunden – zu Recht. Der Hauptgrund, dass es die Matrix-Organisation trotz aller Unzufriedenheit weiter existiert, liegt am Mangel von praktikablen Alternativen.

Aaron de Smet und seine Koautorinnen von der Management-Beratung McKinsey schlagen jetzt unter dem Namen der Helix-Organisation eine Alternative vor. Statt wie in der Matrix-Organisation üblich einen direkten Vorgesetzten und einen ‚dotted-line’-Vorgesetzten zu haben, sieht das Modell der Helix-Organisation vor, dass die Mitarbeitenden zwei Vorgesetzte haben, die gleichberechtigt für die jeweiligen Mitarbeitenden zuständig sind, aber für zwei unterschiedliche Themen. Der eine Vorgesetzte, der ‚capabilities manager’ übernimmt weitestgehend die disziplinarische Vorgesetztenrolle, entscheidet über die Einstellung und Beförderung, aber auch die Entlohnung der Mitarbeitenden. Für die Bewertung der jeweiligen Mitarbeitenden holt sich der ‚capabilities manager’ Input vom zweiten Vorgesetzten, dem ‚value-creation manager’. Dieser ist für die die tagtägliche, fachliche Betreuung der jeweiligen Mitarbeitenden zuständig. Dieses Konstrukt erinnert stark an die Rolle vieler Projektmitarbeiter, die einerseits ihren disziplinarischen Vorgesetzten haben, andererseits aber die meiste Zeit im Projekt mit und für den Projektleiter arbeiten.

Die Berater von McKinsey glauben, dass mit dieser Organisationsform Strukturen vereinfacht und die Zielkonflikte im Vergleich zu einer Matrix-Organisation verringert werden können. Im Modell der Helix-Organisation sollen die beiden Vorgesetzten gleichberechtigt agieren. Da stellt sich schnell die Frage, wie bei dieser Gleichberechtigung der Vorgesetzten Konflikte gelöst werden, wenn unterschiedliche Auffassungen über den Einsatz und die Entwicklung der jeweiligen Mitarbeitenden zwischen dem ‚capabilities manager’ und dem ‚value-creation manager’. Daher bleibt offen, ob dieses Modell die Zielkonflikte und Dilemmas in dem Umfang reduzieren, wie es sich Aaron de Smet und seine Kolleginnen von McKinsey erhoffen. Ich bin gespannt.

10.10.2019 Konfliktwolke

Ich bekam gerade den Hinweis auf das Tool Konfliktwolke, einem Denkwerkzeug aus der Theory of Constraints, das sich auch gut für die Visualisierung und Bearbeitung nutzen lässt. Sieht definitiv nach einem spannenden Ansatz aus.

NBA als Big Business (Photo by NeONBRAND on Unsplash)

9.10.2019 Der Zorn der chinesischen Regierung – ein Dilemma für die NBA?

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete heute, dass die chinesische Regierung von der amerikanischen National Basketball Association (NBA) forderte, einzelne Spieler zu sanktionieren, die auf Twitter ihre Sympathie für die Proteste in Hong Kong veröffentlichten. Würde die NBA die Spieler nicht maßregeln, würden bis auf weiteres keine Spiele der NBA in China ausgestrahlt werden. China ist der zweitgrößte Fan- und damit Werbemarkt für die NBA. Ein Sendeverbot hätte deutliche Umsatzverluste für die NBA zur Folge.

Würde die NBA der Forderung der Chinesen nachgehen, würde zwar die chinesische Regierung zufrieden sein, aber gleichzeitig wäre mit einem Aufruhr unter den amerikanischen Fans zu rechnen sein. Egal wie sich der NBA-Chef Adam Silver entscheiden würde, er würde verlieren.

Auf dem ersten Blick ist dies ein klassisches Dilemma. Doch bei näherer Betrachtung dann doch nicht. Zwar ist die Drohung der chinesischen Regierung massiv, doch der Imageverlust bei den amerikanischen (und anderen Fans weltweit) wäre deutlich größer als die Vorteile, die ein Eingehen auf die Forderungen der Chinesen mit sich bringen würde. Auch ist fraglich, ob die chinesische Regierung sich nicht auch viel Goodwill bei den chinesischen Basketball-Fans verspielen würde, wenn diese nicht mehr die NBA-Spiele sehen könnten. Denn die chinesische Basketball-Liga scheint vom Niveau her weit davon entfernt zu sein, ein angemessener Ersatz zu sein.

So erweisen sich beim näheren Hinsehen die Gegenpole der Entscheidung, die die NBA-Führung treffen musste, alles andere als gleichwertig. Es überrascht dann nicht, dass sich die NBA weigerte, den chinesischen Forderungen nachzukommen und stattdessen auf den Ruf bei den heimischen Fans achtete.

16.10. Nachtrag – Die Strategie der NBA-Führung ist aufgegangen.

Gestern berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass sich beim Streit zwischen der chinesischen Regierung und der NBA Entspannung abzeichnet. Der chinesische Lizenznehmer für die NBA überträgt wieder die Spiele. Die Einschätzung der NBA-Führung erweist sich als richtig, dass die Drohung der Chinesen nicht langfristig aufrecht erhalten würde, der Schaden auf dem chinesischen Markt nicht so groß sein würde.

 

3.8. 2019 Sommerzeit ist Urlaubszeit – Das Dilemma der Sammlungen der großen Museen weltweit

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Egal ob London, Paris oder Berlin. Im Sommer strömen die Touristen in Scharen in die großen Museen. Vor dem British Museum oder dem Louvre bilden sich lange Schlangen. Weder Berlin noch London noch Paris möchte auf seine großen Museen als Publikumsmagnete verzichten, die jährlich Millionen an Kunstinteressierte anlocken und großen Summen in die Städte spülen. Doch egal ob es sich um assyrische Statuen, griechische Fresken oder ägyptische Mumien handelt, in vielen Fällen ist die Herkunft dieser Exponate umstritten. Oft wurde sie als Kriegsbeute aus den Heimatländern mitgenommen oder von Grab- und Kunsträubern verkauft.

Photo by Alex Holyoake on Unsplash

So fordern die Ländern, aus denen die Exponate kommen immer wieder auf die Herausgabe dieser Kunstwerke. So stehen die großen Museen vor dem Dilemma: geben sie diese Werke wieder heraus? Falls ja, dann schmälern sie den Wert und die Attraktivität ihrer eigenen Sammlung. Falls nein, dann verweigern die den Herkunftsländern ihren wenn nicht juristisch, so doch moralisch fundierten Anspruch auf ihre Kulturgüter.

Wie reagieren die Museen auf diese Ansprüche? Sie greifen zum weitverbreitetsten Ansatz beim Umgang mit Dilemmas, die zwar da, aber dann doch nicht ganz so dringend sind: Aussitzen. Denn bei allen Forderungen der Herkunftsländern wird letztendlich nichts getan. Es wird vertröstet oder einmal das eine oder andere Exponat als Zeichen des guten Willens herausgegeben. Aber nichts, was der Sammlung weh tut.

So werden wir wohl noch auf absehbare Zeit sehr viele Kunstschätze aus der ganzen Welt in den großen Sammlungen der ehemaligen Kolonialmächte bewundern können. Auch nächstes Jahr werden die Schlangen vor dem British Museum oder dem Louvre wieder lang sein und nicht nur den Eisverkäufern gute Geschäfte bescheren.

 

19.6.2019 Das Dilemma neuer Unternehmenslenker: lohnt sich kurzfristiger Schmerz für langfristigen Unternehmenserfolg?

Ein Artikel in der April 2019 Ausgabe des McKinsey Quarterly untersucht das Dilemma vieler neuer Unternehmenslenker. Sollen Sie schmerzhafte Maßnahmen wie massive Strukturierungen oder Investitionsprogramme ergreifen , die vorübergehend die Performance des Unternehmens verringern, dafür aber langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Organisation erhöhen?

Die Studie kommt zum Ergebnis, dass es sehr im Sinne der Organisation ist, wenn die neuen CEOs eine Langfristorientierung an den Tag legen. Dummerweise für viele der CEOs wird ihnen die schlechte kurzfristige Performance wegen der schmerzhaften Schritte angekreidet. So sind es dann oft die Nachfolger, die die Früchte ihrer Vorgänger einfahren.

Je mehr die Verweildauer von CEOs auf ihren Top-Posten sinkt, desto höher werden damit die Risiken Kosten für die Top-Manager, langfristig zu handeln.

 

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30.4.2019 – Das Dilemma der Rasenbesitzer

 

Manchmal trifft man Dilemmas auch im eigenen Garten. Nachdem der letzte Sommer deutliche Spuren am Rasen hinterlassen hatte, war eine Neusaat angesagt. Doch dabei tauchte ein Dilemma auf. Auf der einen Seite sollte es in Zeiten des Bienensterbens idealerweise eine Blütenreiche Wiese sein. Auf der anderen Seite wäre diese dann so hoch, dass die Kinder dort nicht mehr richtig spielen können. Sollte man sich als Gartenbesitzer für die Bienen oder die Kinder entscheiden?

In dem Fall gibt es glücklicherweise die Möglichkeit, das Dilemma durch ein beherztes Sowohl-als-auch zu beantworten. Verschiedene Anbieter (z.B. www.saaten-zeller.de) bieten Rasenmischungen an, die niedrig genug sind, dass die Kinder darauf spielen können, aber genug niedrig wachsende und blühende  Pflanzen beinhalten, so dass auch die Insekten auf ihre Kosten kommen.

20.3.2019  Brexit – nicht nur ein Dilemma für Großbritannien

Bild von James Giddins on Unsplash

Momentan vergeht kein Tag, an dem nicht klar wird, wie stark die britische Bevölkerung und Regierung vom Brexit zerrissen ist. Egal, ob ein Brexit ohne Vertrag, mit Vertrag, eine neue Abstimmung über den Brexit erfolgt – ein großer Teil der Bevölkerung wird mehr aus unzufrieden sein.

Bei der ganzen Diskussion um den Brexit aus britischer Perspektive wird aber  gerne verdrängt, dass der britische Austritt auch für die EU eine Reihe von Fragen und Dilemmas aufwirft. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Februar wies die Bremer Professorin Susanne Schmidt zu Recht darauf hin, dass durch den Brexit auch die Strukturprobleme in der EU deutlich zutage treten, aber geflissentlich ignoriert werden. Nicht nur hat der Brexit massive wirtschaftliche Konsequenzen, über deren Umfang kaum gesprochen werden. Schließlich verlässt mit Großbritannien ein Land die EU, dessen Wirtschaftsleistung genauso groß ist wie die der 18 kleinsten EU-Ländern zusammen.

Wie geht die EU nun mit dem Austritt Großbritanniens um? Auf der einen Seite ist die Forderung, den Austritt der Briten so schwer wie möglich zu machen. Einerseits um andere Wackelkandidaten des europäischen Projektes davon abzuhalten, auch aus der EU austreten zu wollen und damit die Situation des Staatenbundes weiter zu schwächen. Auf der anderen Seite besteht aber die Notwendigkeit, einen modus vivendi zu finden, der eine für beide Seiten akzeptable und vorteilhafte Form der Zusammenarbeit ermöglicht. Nicht nur wirtschaftlich, sondern gerade auch politisch in einer Zeit, in der die USA als traditioneller Partner der Europäer immer unberechenbarer wird. Je härter die Position der EU, desto eher bleiben andere Länder vielleicht an Bord, desto geringer wird aber die politische Legitimität der EU. Denn wenn ein Land de facto in einer Zwangsgemeinschaft gebunden ist, dann verlangt es  auch zu Recht Mitspracherechte. Diese sind in der jetzigen Struktur kaum gegeben. Die bestehende Strukturen der EU lassen eine Reform dieses Mitbestimmungsdefizites auch unwahrscheinlich erscheinen.

Es beseht zu befürchten, dass sich die EU lieber für eine harte Position den Briten gegenüber entscheidet, als sich den Fragen der eigenen Legitimität zu stellen. Es wird sich schwungvoll für eine der beiden Optionen entschieden. Damit ist das Problem zwar vom Tisch. Es besteht aber zu befürchten, dass diese ‚Lösung‘ des Dilemmas nicht lange halten wird.

2.2. 2019 Die deutschen Automobilhersteller und die Elektromobilität – ein klassisches Innovator’s Dilemma

Clayton Christensen beschrieb in seinem Klassiker ‚The Innovator’s Dilemma‘ 1997 sehr treffend das Dilemma zwischen Bewahrung und Veränderung, mit dem vielen Unternehmen bei technologischen Umbrüchen konfrontiert werden – und an denen viele bisher führende Firmen scheitern.

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Firmen, die in einer Technologie führend sind, versuchen ihre bestehenden Kunden mit immer mehr Leistung mit der aktuellen Technik zu beglücken. Genau dies ist die Situation der deutschen Premium-Automobilhersteller. Mit ihren PS-Boliden und Dieselmotoren haben sie bisher mit immer höherer Leistung oder Reichweite gepunktet.

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In diesen beiden Aspekten ist die neue Technologie der E-Mobilität momentan enttäuschend. Wagen wie de BMW i3 oder i8 waren bisher kaum eine ernst zu nehmende Alternative zu den Wagen mit Verbrennungsmotoren: zu teuer, zu langsam, zu  geringe Reichweite. Auch beschrieb die Süddeutsche Anfang Januar in einem Beitrag sehr anschaulich, wie sehr auch die Manager der deutschen Autokonzerne ‚Benzin im Blut‘ haben, um E-Mobile als ‚echte‘ Autos anzuerkennen. Wenn die deutschen Automobilhersteller heute wirklich so konsequent auf E-Mobilität setzen würden, wie sie ankündigen, würden sie einen großen Teil ihrer aktuellen Kunden (und ihres aktuellen Gewinns) verlieren. Selbst mehr als fünf Jahre nach dem Verkaufsstart bleibt bspw. der BMW i3 ein seltener Anblick auf deutschen Straßen.

Anders stehen da neue Spieler wie Tesla da. Sie haben keine bisherigen Kunden und deren Erwartungen zu befriedigen, sondern können bewusst in ihrer Nische mit den neuen Technologie wachsen. Je weiter sich die Batterie-Technik entwickelt, desto größer die Nische, die Firmen wie Tesla bedienen, desto größer auch möglicherweise der technologische Vorsprung, den dann die reinen E-Mobil-Anbieter haben. Wie der Aufbau eines technischen Vorsprung aussieht, hat Toyota an anschaulich bei der Hybrid-Technologie vorgemacht.

Die etablierten Automobilhersteller stehen vor dem Dilemma, sowohl die Erwartungen der bestehenden Kunden zu erfüllen und gleichzeitig stark in die Aufholjagd bei der E-Mobilität investieren zu müssen. Selbst die tiefen Taschen der deutschen Hersteller werden da sehr strapaziert werden.

19.12. 2018 Wie gehen Manager mit moralischen Dilemmas um?

Ich bin die Tage auf einen Artikel in ‚Fast Company gestoßen, wo einige Manager beschreiben, wie sie Dilemmas gelöst haben. Lesenswert.

 
 
 

14.11.2018 Wie groß soll mein Sortiment sein? Das Dilemma der Hard Discounter

(c) Christian Lebrenz

Als die Brüder Albrecht in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts mit ihrem neuen Discount-Konzept an den Start gingen, beschränkten sie bewusst ihr Sortiment auf ca. 400 Artikel. Es sollten die nur die Dinge des alltäglichen Bedarfs in einer Variante angeboten werden. Dadurch wurde eine hohe Umschlaggeschwindigkeit möglich, die es ermöglichte die Kosten deutlich zu senken. Doch mit dem sehr schlanken Sortiment entstand ein Dilemma: Kunden kaufen aber viel mehr als diese 400 Artikel. Zwar verringerte Aldi seine Kostenstruktur durch das schlanke Sortiment, verzichtete aber auf sehr viel Umsatz. Würde Aldi das Sortiment verbreitern, würde der Umsatz steigen, sich aber die Kostenstrukturen verschlechtern.

Die Lösung?: Aldi bot Produkte, die außerhalb des Kernsortiments lag im Rahmen von Aktionen an. Jede Woche wurden einige Artikel, egal ob Bügeleisen, italienische Pasta oder Socken angeboten: zu sehr günstigen Preisen, aber nur für sehr begrenzte Zeit. Wenn der Posten abverkauft war, war Schluss. Mit diesen Aktionsangeboten löste Aldi nicht nur das Dilemma zwischen breitem Sortiment und hohem Warenumsatz, sondern ermunterte die Kunden zum Zuschlagen: ob nächste Woche die Bohrmaschine zum Schnäppchenpreis noch da wäre, ist eher unwahrscheinlich. Also das gute Stück lieber heute in den Einkaufswagen legen. Und dadurch, dass Aldi für die Aktion zig Tausende Bohrmaschinen auf einmal einkaufte, waren die Einkaufskonditionen dementsprechend niedrig.

Das Konzept der Aktionsware wurden von den anderen Hard-Discountern eifrig kopiert und selbst eine Kaffeerösterei aus Hamburg verkauft auf diese Weise jede Menge Kleidung und reizende Deko-Artikel.

19.10.2018: VWs Dilemma mit den Vertriebskanälen

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Am Mittwoch dieser Woche veröffentlichte die F.A.Z. unter dem Titel „Aus Autopalästen werden Supermärkte“ über die Firma Volkswagen. Zur Abwechselung ging es mal nicht um die Dieseltechnologie, sondern um ein Dilemma mit den Vertriebskanal. Laut dem Artikel wickeln die 5400 europäischen Händler ca. 1,7 Millionen Verkäufe im Jahr ab und verzeichneten ca. 20 Millionen Besuche in den Werkstätten. Damit sind die Händler der wichtigste ‚touch point‘ mit den Kunden. Doch die Zukunft geht auch beim Autokauf geht in Richtung Internet.

VW rechnet, dass bis 2025 zwar erst 5% der Kunden ihren Wagen direkt aus dem Internet holen werden, aber 20% sich dort intensiv informieren. Tendenz: stark steigend. Über den Kanal Internet hätte VW auch den direkten Kundenkontakt. Diese wichtigen Daten gehören heute den Händlern. Diese Kundenkontakte bilden die Geschäftsgrundlage für die Händler.

Daraus ergab sich für VW das Dilemma, auf der einen Seite den wichtigen Kanal Internet zu besetzen, damit an die Kundendaten zu gelangen ohne gleichzeitig die bis auf absehbare Zeit zentrale Säule des Vertriebs, die Händler, zu vergraulen.

Was hat VW gemacht? Langfristig wird sich das schon seit Jahren zu beobachtend Ausdünnen des Händlernetztes fortsetzen. Und langfristig wird wohl der eine oder andere Showroom der Händler in einen Supermarkt umgewandelt werden. Kurzfristig hat VW mit den Händlern einen Kompromiss ausgehandelt. Einerseits erhalten die Händler eine Vergütung vom Konzern, wenn die Kunden nur noch ins Autohaus kommen, um die im Internet bestellten Wagen abzuholen. Gleichzeitig werden die Händler auf der Kostenseite entlastet, da der Konzern die Anforderungen an die Händler bezüglich Personal und Prozessen gesenkt hat.

Wir können gespannt sein, wie gut dieser Kompromiss halten wird. Es ist zu vermuten, dass die Konditionen im Vertrag zwischen dem Konzern und den Händlern immer wieder nachverhandelt werden können, je nachdem, wie schnell die Kunden in Richtung Internet abwandern. Es bestünde dann die Möglichkeit, den Kompromiss immer wieder auszutarieren.